Einfach weg.
Die Welt ohne Mich.
Einfach weg.
Die Welt ohne Mich.
Eine Frau auf unendlicher Reise. Sie kommt niemals an, denn sie lebt im Zug, verlässt ihn nur zum Umsteigen. Früher hatte sie ein normales Leben, Wohnung, Beruf, Mann, beste Freundin. Jetzt hat sie ein Klimaticket, eine Tasche mit dem Nötigsten und lebt vom Flaschensammeln. Eine Existenz nach striktem Fahrplan, in der alle Anschlüsse in Gefahr sind.
„Als ich keine Wohnung mehr gehabt hatte, war ich für einen Monat in den Zug gestiegen. Ich war immer gern Zug gefahren. Erstmal für einen Monat. So einen Mischmasch aus Bedrohtsein und Unwohlsein und Lust am Davonmachen. Und dann hab ich mich dran gewöhnt.“
Auch dieser Mann fährt ständig mit dem Zug. Er ist gefangen in einem rastlosen Alltag zwischen Geschäftsreisen, Kongressen und Meetings. Zwischendurch telefoniert er mit seiner Frau um ihr vage von seinem Arbeitstag zu berichten und sich für die andauernden Verspätungen zu entschuldigen. Der Zug ist zu seiner zweiten Heimat geworden. Denn sein Arbeitsleben ist längst reine Fiktion. Er führt eine Doppelexistenz und verschweigt seiner Familie, dass ihm gekündigt wurde. Die Illusion muss um jeden Preis aufrechterhalten werden.
„Ich weiß es kann so nicht weitergehen. Ich brauche nur noch ein wenig Zeit, um alles in Ordnung zu bringen. So lange fahre ich einfach mit dem Zug. Bis mir etwas einfällt, damit alles wieder in Ordnung kommt.“
1945 wurde der Lehrer Josef Jocher als sozialdemokratischer Regimegegner im KZ Mauthausen inhaftiert. Verheiratet mit der Jüdin Käthe Adler hat er sich jahrelang gegen die Arisierung ihres Wohnhauses, der „Villa Adler“ in der Franz-Stelzhammer-Strasse 12, gewehrt. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers ist er wahrscheinlich zu Fuß nach Hause zurückgekehrt, vielleicht sogar auf der Strecke der heutigen Traunseetram über Vorchdorf, Kirchham und Gschwandt bis Gmunden. Eine Stimme aus der Vergangenheit, die sich tief in diese Landschaft eingeschrieben hat.
„Beruf. Lehrer. / Familienstand. Verheiratet /
Ehefrau. Käthe, geboren Adler /
Geburtsdatum. Unbekannt/ Geburtsort. Gmunden /
Wohnort. Gmunden. Franz-Stelzhamer-Straße 12 / Haftgrund. Sozialdemokrat. Roter Winkel“
In Kooperation mit der
Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 und der Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft m.b.H.
Textfassung von Alexander Charim
Mit Ausschnitten aus „Fliegen“ von Albrecht Selge – Rowohlt Verlag
Das Hörtheater ‚Unterwegs‘ erzählt die Geschichte von drei Figuren, die mit der Traunseetram fahren. Wir erfahren Ausschnitte ihrer Biographien, den Grund ihrer Reise, ihre Alltagsgedanken, ihre Pläne und Enttäuschungen, die Veränderungen in ihrem Leben und wie sie darüber denken. Der Zug als Ort alltäglicher Anonymität und flüchtiger Begegnungen wird zum Schauplatz der komplexen Reise- und Lebensrouten dieser Fahrgäste. Mich interessiert eine Erzählung über Zusammenleben, Vereinsamung und Entvölkerung. ‚Unterwegs‘ lenkt den Blick auf die anonymen Gehetzten des Alltags. Ihr ständiges auf dem Weg sein spiegelt einen rasenden Stillstand und eine immer flüchtiger- und bindungsloser-werdende Gesellschaft.
Die Bahnfahrerin: Sona MacDonald
Der Mann ohne Arbeit: Orlando Klaus
Josef Jocher: Lukas Watzl
Der Schaffner: Eric Affenzeller
Das Kind: Jonathan Charim
Regie: Alexander Charim
Musik & Sounddesign: Friedrich Stockmeier
Produktionsleitung: Kerstin Glachs
Programmleiterin Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024, Darstellende Künste und Literatur:
Sonja Zobel
Die Publikumsgespräche im Anschluss der Sonderfahrten wurden geleitet von:
Dr. Barbara Grabher
Besonderen Dank an
Stern & Hafferl Verkehrsgesellschaft:
Günter Neumann, Monika Thalhamer
Zeitgeschichte Museum Ebensee:
Nina Höllinger